London Welche Auswirkungen wird die Corona-Epidemie auf den Kunstmarkt haben? Noch kann niemand diese Frage beantworten. Allen Beteiligten ist jedoch klar, dass es mehr als nur eine Pause ist – und nicht bald alles so weitergehen wird wie zuvor. Die zu erwartenden Auswirkungen auf den Markt sind vielfältig: Künstlern fehlt wegen abgesagter Ausstellungen die Existenzgrundlage. Galerien versuchen mehr recht als schlecht mit digitalen Ausstellungen Sammler zu Käufen zu verlocken. Eine Londoner Galerie rief die Autorin bereits letzte Woche an, um Werke mit bis zu 30 Prozent Rabatt feilzubieten.
Da kommen dem Marktbeobachter die Skulpturen in den Sinn, die der Londoner Händler Daniel Katz 2019 auf der Maastrichter Tefaf-Messe anbot: stumme Diener mit Teufelshörnern und Tierfüßen.
Es ist ein diabolischer Markt, dem eine unausgesprochene Panik zugrunde liegt. Die Auktionshäuser schwelgen zurzeit noch im Optimismus der Online-Auktionen. Aber auch an ihnen wird eine weltweite Rezession nicht spurlos vorbeigehen. Die Verschiebung von wichtigen Versteigerungen – etwa jener der Sammlung Macklowe – von Kunstmessen, Museumsausstellungen und Biennalen macht die Lage nur noch schwieriger.
Heute hält die Kunstwelt den Atem an. Ob danach aber ein Aufschwung folgen wird, ist mehr als ungewiss. Guy Jennings, Direktor der Beratungsfirma Fine Art Group und erfahrener Auktionsveteran, erwartet einen „Frost“ von einigen Monaten, in denen keine Transaktionen stattfinden.
Gerade ob der ungewissen Zukunft ist es wichtig, auch Rückblick zu halten. In der Krise zeigen sich Fehlentwicklungen und Tendenzen der Vergangenheit besonders schonungslos. Im März erschienen drei Bewertungen des Kunstmarktjahres 2019, herausgegeben von der „Art Basel|UBS“, „Artprice“ und der „Tefaf“. Sie erlauben es, einen ungeschönten Blick auf ein Geschäftsfeld zu werfen, das schon vor Corona nicht mehr gesund war.
Die Marktforschungsfirma Art Economics nimmt eine Gesamteinschätzung des globalen Marktes vor. Sie wird unter dem Titel „The Art Market Report 2020“ von der Messe Art Basel und der Bank UBS publiziert. Der Bericht beruht auf Resultaten von Umfragen im weltweiten Kunst- und Antiquitätenmarkt. Er zieht Schlüsse für verschiedene Regionen, Marktsegmente und Sparten.
Sein wichtigstes Ergebnis ist eine ernüchternde Feststellung: der globale Markt schrumpfte 2019. Mit 64,1 Milliarden Dollar Umsatz verkleinerte er sich um fünf Prozent. Clare McAndrew, Gründerin der Firma, spricht von der Anspannung im Markt.
Lichtblicke gibt es dennoch: Galerien erkämpfen sich Marktanteile zurück, Auktionshäuser verzeichnen einen Anstieg bei den privaten Verkäufen. Der E-Commerce lebt von der Millennium-Generation, die mehr Geld ausgibt als die Generation ihrer Eltern.
Regional gibt es wenig Überraschungen, einzig Frankreich scheint aus dem Brexit-Debakel Vorteile zu schöpfen und steigert seinen Marktanteil von sechs auf sieben Prozent am Weltumsatz. Allerdings schwächt sich China um zehn Prozent ab, was Beobachter schon wachsam werden lässt.
Einbußen für Auktionshäuser
Bemerkenswert ist laut Art Basel|UBS-Report die anhaltende Polarisierung des Markts. Geben sich Galerien und Händler in Umfragen selbstbewusst und optimistisch – wobei man deren Ehrlichkeit vielleicht auch anzweifeln darf – so scheint den größten Zuspruch doch vor allem Händler zu genießen, die einen Jahresumsatz von 250.000 bis 500.000 Dollar haben.
Die Auktionshäuser müssen 2019 Einbußen von gleich 17 Prozent verdauen. Hier brach vor allem der extrem teure Bereich an der Spitze ein. Dass hochkarätige Einlieferungen bei Weitem nicht einfach an Land zu ziehen sind, hat ja kürzlich das Beispiel der auf 450 Millionen Dollar geschätzten Sammlung von Donald Marron gezeigt. Sie wird nicht wie erwartet über Auktionen, sondern von einem Zusammenschluss von mehreren Großgalerien verkauft.
Es wird Schließungen geben
Gleichwohl weiß Autorin und Datenanalystin Clare McAndrew selbst, dass ihr Bericht jetzt schon veraltet ist, wie sie in einem Telefoninterview mit dem Handelsblatt erläutert. Das optimistische Gefühl, das vor allem Galerien noch Ende 2019 hatten, sei schnell verflogen. Galerien hätten in einem Markt, der jetzt schon unter Druck steht, kaum Kapazitäten, die Krise zu überdauern. „Ich denke, es wird Schließungen geben“, führt die Wirtschaftswissenschaftlerin aus.
Datenmaterial der Reports variiert
Wie uneinheitlich die Datenerhebung im Kunstmarkt ist, wird klar, wenn man die Ergebnisse des Art-Basel-Berichts mit dem Rückblick der Datenbank Artprice vergleicht. Deren Ergebnisse stützen sich allein auf Auktionsresultate aller Sammelgebiete, aber ohne Antiken und Möbel.
Der Bericht schaut auf Trends im Sammlerverhalten, die sich aus den Versteigerungen ergeben. Nie wurden mehr Kunstwerke versteigert. 2019 setzten die von Artprice ausgewerteten Auktionshäuser mit 550.000 Kunstobjekten 13,3 Milliarden Dollar um. Den Rückgang von 14 Prozent zum Vorjahr bewertet der Artprice Report erstaunlicherweise nicht als Einbruch, sondern als Konsolidierung. Auch hier wird der Mangel an absoluter Spitzenware als Grund des Rückgangs bezeichnet.
Dieser Bericht ist vor allem eine nützliche Ergänzung, da er sich mit dem breitenwirksamen Spektrum des Auktionsmarkts befasst und betont, dass noch immer 90 Prozent aller verkauften Objekte Preise unter 17.000 Dollar erzielen. Selbst Christie’s verkaufte 50 Prozent seiner Angebote unter 20.000 Dollar. In diesem Segment waren die Online-Auktionen attraktiv.
Innovationsschub für Online only
„Online-only-Auktionen in höheren Preisbereichen, digitale Ausstellungsräume, Virtual-Reality-Präsentation – die kommerzielle Vermittlung wird einen Entwicklungsschritt sehen, der in Musikindustrie und Buchhandel schon vor 20 Jahren passiert ist“, prognostiziert Dirk Boll, Präsident bei Christie’s, den durch die Pandemie erzwungenen Innovationsschub. „Der 2020er-Report wird wohl für viele Jahre der letzte sein, der über einen Rückgang der online erzielten Umsätze berichten wird.“
Clare McAndrew hingegen gibt sich skeptisch: „Käufer kaufen online, aber sie mögen es nicht. Wir sehen Veränderungen, die nicht von der Nachfrage, sondern vom Angebot gesteuert sind. Leute wollen Kunst real erleben und einen Sinn von Gemeinschaft entwickeln.“
Die Kunst- und Antiquitätenmesse Tefaf veröffentlicht in diesem Jahr einen umfassenden Bericht zur Philanthropie von Sammlern. Ihr Bericht erweitert den Blick auf die Kunstszene. Er beleuchtet nicht nur den Kunstmarkt, sondern den Einfluss, den privates Kapital auf öffentliche Museen und Institutionen hat. Fast 80 Prozent aller Befragten unterstützen nicht-kommerzielle Kunstprojekte.
Sammler als Philanthropen
Die Liebe zur Kunst, der Wunsch, etwas Gutes zu tun, sowie Möglichkeiten des Networkings werden als Motivationen genannt. Interessant ist der Trend, dass auch hier Technologie neue Wege eröffnet; der Bericht analysiert die Ausweitung von Spendenaktionen durch Crowdfunding. Wie erfolgreich diese sein können, zeigt sich an der gerade bekannt gegebenen Rettung des Hauses des britischen Filmemachers Derek Jarman, bei der innerhalb von zehn Wochen durch 7300 Spenden 3,5 Millionen Pfund erzielt wurden, die meisten in der letzten Woche, mitten in der Coronakrise.
Diese Initiative ist nur eines der Zeichen, dass sich in Krisenzeiten auch Positives findet. Anstelle Kunst einzig als Geldanlage zu sehen, zeigt sich, dass Menschen Kunst sammeln, fördern oder unterstützen, weil sie die Rolle der Künste in der Gesellschaft als wesentlich erachten.
Auch wenn der Kunstmarkt 2020 von Unsicherheiten geprägt sein wird, bleibt zu hoffen, dass wieder mehr Kunstliebhaber den symbolischen Wert der Kunst höherstellen als den finanziellen Profit. Wenn Galerien sich dieses Potenzial durch packende digitale Kommunikation erschließen, haben sie möglicherweise ‧eine gute Chance, der Teufelskralle zu entkommen.
Mehr: Kunstauktionen: Die Pandemie zwingt die Versteigerer ins Internet
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https://messepost-online.info/der-kunstmarkt-geht-in-einer-ungewisse-zukunft/
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